Stilvoll Scheitern: Kein Hoch auf uns – Verlieren mit Stil
Die beste Vorbereitung nützt nichts, wenn Dein Team Dich vor den Augen der Welt auf dem Rasen im Stich lässt. Folge uns gebrochen zum stilvollen Scheitern.
Du hast an alles gedacht: Plätze im Biergarten reserviert, Termine in die Chatgruppe gestellt, das Fan-Shirt gewaschen, liebevoll Snacks drapiert, die Getränke gekühlt und sogar den Grill angeworfen. Nur die elf Profis auf dem Platz spielen mal wieder nicht mit. Dein Team hat haushoch verloren. Alles riecht nach Vorrundenaus. Wir begleiten Dich heute durch die vier Phasen der Krisenbewältigung.
Phase 1: Schock
Das kann doch nicht wahr sein! Du hast Stoßgebete zum Himmel geschickt, den Fußballgott beschworen und Dein Glückstrikot übergeworfen – was ist da bitte gerade auf dem Platz passiert? Du kannst es nicht glauben. Ist das ein Übertragungsfehler? Hat Hummels da gerade wirklich die Kirsche in den eigenen Kasten gekickt? Hast Du die Lesebrille aus Versehen aufgelassen? Aber die anderen feiern so ausgelassen und die tragen eindeutig die gegnerischen Farben. Nur nichts anmerken lassen und den Spielplan noch einmal intensiv studieren. Es sah doch alles so gut aus, da muss etwas nicht stimmen. „Hahaha, ja 1:0“ – worüber sprechen die eigentlich? Sie können auf keinen Fall DEIN Spiel meinen.
Tipp: Öffne Dich einem nahsitzenden Co-Fan und teile Deine Fassungslosigkeit. Vielleicht weiß sie Rat und kann diese fürchterlichen 90 Minuten gerade besser verarbeiten als Du. Vielleicht lädt sie Dich zu einem Getränk ein und versucht nicht, Dich von dem Elend zu überzeugen. Dasein ist jetzt alles.
Phase 2: Reaktion
Wut
Was für ein unterirdisches Spiel! Alle Versager: Trainer, Spieler, Schiri. Vollkommen falsch in diesem Job. Du hättest das besser gemacht – Ihr alle hättet das besser gemacht. Und was lacht Karsten so selbstgefällig, nur weil seine Gurkentruppe heute mal Glück gehabt hat? Wer hat den eigentlich eingeladen? Wenn noch ein falscher Kommentar fällt, ist der Abend hier beendet, aber mit einem großen Knall. Überhaupt Fußball: Sport ohne Seele. Memo an Dich: Dauerkarten zerreißen.
Tipp: Lass Deine Wut raus – aufs Team, auf den Gegner, den Fußballgott. Geh auf Toilette und brülle lauthals in die Schüssel. Solltest Du zu Hause sein, ziehe Dich unter fadenscheinigen Entschuldigungen zurück („Ich glaube, mein Wasser kocht.“) und füge dem Kissen im Schlafzimmer Gewalt zu. Lass alles raus. Zerreiß eine Flagge. Fluche in verschiedenen Sprachen. Lass die Finger von den Dauerkarten und von Karsten. Es fühlt sich im Moment nicht so an, aber Deine Wut wird sich legen. Versprochen.
Resignation & Trauer
Spürst Du auch diese Leere? Drei Jahre hast Du gewartet und nun das? Wozu eigentlich noch Fußball? Ein sinnloser Sport. Was hättest Du in all der Zeit alles erreichen können, die Du in Stadien und vor Bildschirmen verbracht hast? Du könntest inzwischen selbst Profi sein. Oder hast Du zu wenig gegeben? Warst Du nicht immer so für Deine Mannschaft da, wie es nötig gewesen wäre? Die Tränen steigen Dir in die Augen, während Du lustlos nach den Erdnussflips greifst.
Tipp: Alles was Du jetzt brauchst, sind Trost und Verständnis. Es war nicht Deine Schuld, Du hast alles richtig gemacht. Was auf dem Platz passiert, liegt nicht in Deiner Hand. Lass die Leere kurz zu, aber auch die Traurigkeit. Die Mannschaft und Du, Ihr hattet Großes vor, das ist nun nicht mehr. Du darfst jetzt enttäuscht sein. Such Dir ein verständnisvolles Ohr und lass Dich trösten. Ja, wir hätten jetzt wirklich gern ein Taschentuch!
Phase 3: Bearbeitung
Der nächste Morgen. Oft siehst Du nach einer guten Rückrunde Schlaf alles viel klarer und kannst den Verlust des Vorabends langsam akzeptieren. Lösungen für die kommenden Wochen werden entwickelt. Noch ist alles drin! Das war das erste Spiel, wir halten zusammen, schalalala. Die Letzten werden die Ersten sein etc. Du weißt schon. Was vorbei ist, ist vorbei. Nun gilt es, nach vorne zu sehen. Hauptsache, die Kolleg*innen spielen mit und salzen die Wunde von gestern nicht nach.
Tipp: Versuche, einen realistischen Blick auf das Spielgeschehen zu entwickeln. Am besten ohne Kommentare. Was ist passiert, was ist noch möglich? Wie viel hast Du enthusiastisch beim Tippspiel gesetzt, ohne dass es Dich ruiniert? Sammle die Fakten und tausche Dich mit anderen Betroffenen aus, die auch auf der Suche nach Lösungen sind. Klar macht es noch Sinn, die Mannschaft zu unterstützen. Jetzt erst recht. You never walk alone – ist doch Ehrensache.
Phase 4: Neuorientierung
Es ist vollbracht – Du hast das Schlimmste überstanden. Jetzt planst Du schon den nächsten Fußballabend. Wahrscheinlich versuchst Du es mit einem anderen Glückstrikot. Ihr entscheidet Euch für einen unbelasteten Ort zum Public Viewing, der nicht an den alten Schmerz erinnert. Karsten ist auf mysteriöse Weise aus der Chatgruppe geflogen. Neues Spiel, neues Glück!
Tipp: Nutze den Schwung und die Gunst der Stunde. Das letzte Spiel liegt hinter Dir. Vor Dir liegen unendliche Möglichkeiten. Die nächsten 90 Minuten gehören Dir. Sieh Dich in dieser Phase des Neubeginns gern auch nach einem Ersatzfavoriten um, denn egal wie es weitergeht: Es muss ja weitergehen. Oder schmiede im Stillen Pläne, Dich in Zukunft anderen Dingen intensiver zu widmen. Gärtnern ist doch auch ganz schön – oder Federball. Die Welt ist jetzt Deine Bonbonschüssel und Du darfst beherzt reingreifen.
Kleiner Spoiler: Krisenbewältigung verläuft meistens in Wellen (wie im Stadion). Sollte Dich also die Wut und Trauer beim nächsten Spiel überfallen, gelten die Tipps der vorherigen Phasen. Besinne Dich auf die Dinge, die Dir bereits geholfen haben. Wiederhole sie. Denn: Scheitern ist ok – aber immer mit Stil!
Deine Erinnerungsliste für zukünftiges Scheitern:
- Bleibe im Schock nicht allein – such Dir eine starke Schulter
- Lass Wut und Trauer zu, ohne anderen und Dir zu schaden (eigene Kissen sind okay)
- Verarbeitet gemeinsam das Geschehene – es gibt für alles eine Lösung, selbst für Eigentore
- Blicke zuversichtlich nach vorn und schmiede Pläne für ein Leben mit und ohne Fußball
- Und das Wichtigste: Jede Phase hat ihre Zeit – und das ist auch gut so